Unter Führungslinien, manchmal auch Leitlinien genannt, versteht man solche Linien, die den Blick des Betrachters in das Bild hinein und zum Hauptobjekt der Komposition führen sollen. Nun gibt es aber zwei Arten von Fotografen: Die einen, z. B. unser amerikanischer Kollege und Fotokursleiter Jim Zuckerman, die das Konzept der Führungslinien für einen sehr wichtigen Aspekt der Bildgestaltung halten und andere, die der Meinung sind, dass es grober Unfug ist.

„Leitlinien“ sind eine Selbsttäuschung von traditionsgebundenen Fotografen. Ich habe damit schon früher abgerechnet.

Das schreibt Andreas Feininger in Feiningers Kompositionskurs der Fotografie, Wilhelm Heyne Verlag München, Seite 97 (Taschenbuchausgabe).

Puh! Starker Tobak.

Wie so oft sollte auch in dieser Frage jeder selbst entscheiden. Aber um es gleich vorweg zu nehmen: Ausnahmsweise, wirklich ausnahmsweise(!), bin ich mal nicht Feiningers Meinung. Aber wer bin ich schon, dem großen Feininger zu widersprechen? Trotzdem will ich euch ein paar Bilder zeigen, die aus meiner Sicht das Konzept der Führungslinien durchaus illustrieren. Und auch das eine oder andere, wo es eben nicht funktioniert.

Definition der Führungslinie

Die Aufgabe einer Führungslinie ist nach der Meinung „traditionsgebundener Fotografen“, den Blick in das Bild hinein und zu einem bzw. DEM wichtigen Bildelement zu führen (oder zu leiten, wie Feininger sagen würde). Die Führungslinie verfehlt daher ihre Aufgabe, wenn

  1. es kein wirkliches Hauptobjekt im Bild gibt
  2. die (Führungs-) Linie den Blick aus dem Bild hinaus führt

Hier ein Beispiel für Punkt 1:

Straße in Irland

Die Straße und insbesondere der weiße Mittelsreifen bilden zwar wunderbare Linien, die von links unten in das Bild hinein führen. Aber sie haben kein wirkliches Ziel. Sie verschwinden einfach in der Ferne. Die Berge sind einfach nicht prägnant genug, um als Hauptobjekt im Bild dienen zu können.

Hier ein Beispiel für Punkt 2:

Rapsfeld

Die Kante des Rapsfeldes bildet eine schöne Linie. Aber sie führt am rechten oberen Bildrand direkt aus dem Bild heraus. Das ist alles andere als eine Führungslinie. Sie zerschneidet das Bild lediglich in einen oberen und einen unteren Teil.

Und es funktioniert doch

Nach all den Negativbeispielen endlich das aus meiner Sicht überzeugende Beispiel, dass es doch Führungslinien gibt (nimm das, Feininger!):

Burg in Österreich

Der Zaun und die Zuwegung führen den Blick nach meinem Gefühl durchaus sehr deutlich zu der Burg, die hier das klare Hauptobjekt des Bildes ist.

Mein persönliches Fazit: Richtig eingesetzt, können Linien im Bild durchaus blickführend (und zielführend ;-)  ) sein.

Ich bin gespannt auf eure Meinungen.